Können wir objektiv urteilen? Oder grätscht uns unbewusst unsere Psyche dazwischen wenn wir Personen, Unternehmen oder auch eine Werbeanzeige beurteilen? Warum wirkt physische Attraktivität so viel stärker als innere Schönheit? Warum wird Werbung auf einer qualitativ hochwertigen Website positiver wahrgenommen als in minderwertigen Umfeldern? Studien beantworten dieses „Mysterium“ mit dem Halo-Effekt, einem Wahrnehmungsfehler, dem wir uns in diesem Beitrag etwas ausführlicher widmen werden.
Hallo? Halo-Effekt? Was soll das sein?
„I can feel your halo (halo) halo“ besang Beyoncé 2009 ihre große Liebe und stülpte ihr bereits mit dem Titel einen Heiligenschein über. Das Ergebnis: der Grammy-Award für die „Beste weibliche Gesangsdarbietung – Pop“, der MTV European Music Award 2009 in der Kategorie „Bester Song“ und unzählige Top-Chart-Platzierungen in diversen Ländern inklusive Deutschland. Seinen Ursprung hat der Begriff aber natürlich nicht in der Musik, sondern in der Sozialpsychologie.
Frederic L. Wells beobachtete den „Hof-Effekt“ bereits 1907 und der US-amerikanische Psychologe Edward Lee Thorndike gab dieser fehlgeleiteten Wahrnehmung später den Namen „Halo-Effekt“. Zusammen mit Gordon Allport, der sich vor allem in der Persönlichkeitspsychologie einen Namen machte, beschrieb Thorndike den Halo-Effekt ausführlich, basierend auf eigenen psychologischen Studien. So beschreibt der Effekt in seinem Ursprung nichts anderes als die verzerrte Wahrnehmung eines Menschen, basierend auf einer einzelnen Eigenschaft oder einzelnen Merkmalen.
Heißt: Eine einzige hervorstechende oder zuerst wahrgenommene Eigenschaft kann dafür sorgen, dass man euch hochleben lässt oder dass ihr ein Schattendasein frönt. Das ist jetzt zwar keine ganz korrekte Definition, beschreibt den Effekt aber ganz gut. Da ich Fan von Beispielen mit Wiedererkennungseffekt bin, gibt es hier ein paar – ich hoffe, es ist etwas Passendes für euch dabei:
Melanie bekam immer bessere Noten
Ihr erinnert euch doch sicher an Momente in der Schule, wo ein Mitschüler oder eine Mitschülerin (letztere wahrscheinlich häufiger – der Halo-Effekt lässt grüßen) eine bessere Note als ihr im Aufsatz bekam. Zum Beispiel Melanie: lange mittel-blonde Haare, immer ein Engels-Lächeln auf den Lippen und immer gute Noten. Immer. Die Lehrer liebten sie. Die anderen Mädchen eher weniger. Außer jenen, die sich in ihrem Heiligenschein sonnen wollten. Heut nennt man diese Freunde, zumindest im Englischen, gern DUFF: Designated Ugly Fat Friend. Das trifft natürlich nicht wortwörtlich zu – versteht das nicht falsch. Halten wir fest, dass Melanie einfach eine hübsche Person war und einen wahnsinnig sympathischen Eindruck machte.
Der zuerst gewonnene Eindruck hat das größte Gewicht und hat man Glück, werden dadurch alle in der Folge zutage tretenden Mängel, Fehler und weitere Eigenschaften negativer Art nicht oder kaum wahrgenommen. Bestätigt sich der positive Eindruck, den ein Schüler/eine Schülerin auf den Lehrer macht durch dessen Erwartung, spricht man übrigens vom Pygmalion-Effekt. Wie der funktioniert, wird in diesem Video gut beschrieben. Und so bekam sicherlich jeder von euch mal von seinen Eltern zu hören: „Schau zu, dass du gepflegt ausschaust, und denk immer daran: Der erste Eindruck zählt.“
Man muss diesen positiven ersten Eindruck (seinen Heiligenschein) natürlich konstant pflegen und polieren, damit er nicht eintrübt. Wie zum Beispiel …
… Felix, der Blender
Stefan hatte keine Ahnung, wie Felix das gemacht hat, aber er fuhr bereits nach einem halben Jahr Betriebszugehörigkeit einen Mercedes SLK und sein Gehalt war definitiv höher. Wenn seine tatsächlichen Leistungen der Grund gewesen wären … Aber der Mann hat sich einfach nur gut vermarktet. Gearbeitet – und das wirklich effektiv und effizient – hat in erster Linie der Rest des Teams. Felix punktete vor allem damit, dass er gut aussehend, selbstsicher und immer tadellos gekleidet war. Egal ob im Maßanzug oder in Jeans, Hemd und Pulli mit V-Ausschnitt – er hat stets einen blendenden Eindruck hinterlassen und beherrschte das Eigenmarketing aus dem FF. Der Chef fand sein Auftreten toll, beförderte ihn und Kollege Stefan hatte das Nachsehen.
Doch kann ein einzelnes Merkmal die Wahrnehmung eines anderen Menschen wirklich so stark beeinflussen, dass andere Eigenschaften komplett ins Hintertreffen geraten und damit eine objektive Beurteilung fast unmöglich machen? Ja, kann es. Und zwar auch im negativen Sinne:
Kevin ist schuld
Es gibt immer einen Buhmann. Die Aussage kennt ihr sicherlich. Ich hoffe, ihr wart nie damit gemeint. Kevin leider schon. Er war eher klein geraten, aß gern Süßes und Fettiges, war entsprechend pummelig und bekam darüber hinaus selten den Mund auf, wenn ihn mal ein Erwachsener ansprach. Hinter diesen wahrgenommenen Eigenschaften und Merkmalen verbarg sich jedoch ein netter, aber sehr schüchterner Junge, der einfach nur dazugehören wollte. So war Kevin auch immer bei jedem Blödsinn dabei, den die Kids auf dem Hof veranstalteten. Egal, ob sie mit selbst gebauten Schleudern Kiesel auf imaginäre Ziele an den Hauswänden abfeuerten, Klingelputzer spielten oder Unmengen Spinnen durchs angekippte Badezimmerfenster bei Frau Meier einziehen ließen, Kevin war anwesend. Wenn sie bei ihren Streichen doch mal entdeckt wurden, hieß es meist „Ach, der Kevin. Wer sonst!“
Kevin litt – neben dem optischen Ersteindruck – unter einem weiteren Merkmal, welches seine anderen, positiven Eigenschaften überstrahlt: seinem Namen. Der Name „Kevin“, den nach dem erfolgreichen Film „Kevin – Allein zu Haus“ nach 1990 leider jede Menge Jungs bekamen, hat gar keinen guten Ruf. So wurden Kinder mit diesem Namen häufig als „leistungsschwach“ oder sogar „verhaltensauffällig“ abgestempelt. Herausgefunden haben das bereits 2009 die Oldenburger Erziehungswissenschaftlerin Prof. Dr. Astrid Kaiser und Julia Kube von der „Arbeitsstelle für Kinderforschung“. Hier könnt ihr mehr dazu lesen.
Fassen wir den Heiligenschein-Effekt zusammen
Verschiedene Merkmale oder bekannte Eigenschaften können die weitere Wahrnehmung und die Erwartung an einen Menschen nachhaltig positiv oder negativ beeinflussen. Durch einen solchen Wahrnehmungsfehler werden attraktiven Personen eher außergewöhnliche Leistungen zugetraut als unattraktiven. Das Aussehen oder ein anderes prägnantes Merkmal z. B. kann also für eine so genannte „kognitive Verzerrung“ unserer Wahrnehmung sorgen. Dieser Umstand hat erhebliche Auswirkungen, den er verändert unsere Erwartung an die Person, ihr Verhalten und den Gesamteindruck, den sie hinterlässt.
Das kann die Herkunft sein, das Alter, der Name oder der Ruf, den man (bewusst oder unbewusst) in seinem persönlichen oder beruflichen Umfeld hat. Ein solches, zuvorderst wahrgenommenes oder übermitteltes Merkmal kann alles Weitere überstrahlen und uns blind für bisher unbekannte Eigenschaften des Gegenübers machen.
So können ein negativ besetzter Name, ein eher ungepflegtes Äußeres, bestimmte Eigenschaften, eine einfache soziale Herkunft, ein geschätzter Freund, der die Person nicht mag oder einfach ein schlechter Ersteindruck zum Gegenteil des Halo-Effekts, dem Horn-Effekt (auch „Teufelshörner-Effekt“) führen. Schon Kinder werden teilweise in Stereotypen aufgeteilt, von denen sie sich selbst später nur schwer befreien können (siehe Kevin). Verstärkt werden diese Stereotypen übrigens durch die Medien: schön = gut. Aber auch in der Geschichte, in Märchen und Erzählungen finden sie sich wieder (Helden, gute Feen oder Prinzessinnen waren immer schön) und werden so immer weitergegeben.
Lässt sich ein solcher Effekt zusätzlich beeinflussen?
Spannend zu wissen ist, dass das Potenzial, sich „blenden“ bzw. beeinflussen zu lassen – egal ob von einer Person oder einer Werbeanzeige – ein paar Abhängigkeiten aufweist. Das stellten Petty, Cacioppo und Goldman bereits 1981 in einem Versuch mit 145 Studenten fest. Bei der Beurteilung z. B. einer Aussage wird meine Meinung dadurch beeinflusst, ob ich müde und wenig motiviert bin. Auch ob die Aussage von einem Experten stammt oder zum Beispiel von einem Schüler und wie viele Argumente mir dazu unterbreitet werden, kann meine Antwort verändern.
Wer das Ganze spannend findet: Auf YouTube gibt es zwei Serien von Dipl. Psychologe Eskil Burck mit sehr gut erklärenden Videos zum Halo-Effekt und dem sogenannten „Elaboration Likelihood Modell“, die auch eine Menge Studien beleuchten:
- Psychologie: Der Halo-Effekt – Wenn ein Persönlichkeitsmerkmal alles überstrahlt (Teil 1)
- Psychologie: Der Halo-Effekt – Wenn ein Persönlichkeitsmerkmal alles überstrahlt (Teil 2)
- Werbepsychologie: Die Psychologie des Überzeugens – Das Elaboration Likelihood Modell (Teil 1)
- Psychologie des Überzeugens – Das Elaboration Likelihood Modell (Teil 2)
Einen weiteren Faktor mit viel Einfluss auf die Ergebnisse von Studien beschreibt der Hawthorne-Effekt:
Teilnehmern gruppenbasierter Studien ist ja bewusst, dass sie an einer solchen teilnehmen. Auch das kann das natürliche Verhalten beeinflussen. Bei den Studien in den Hawthorne Werken (Illinois, USA) führte dieses Wissen zu einer durchgängig höheren Produktivität, unabhängig davon, wie die Arbeitsbedingungen verändert wurden.
Einen ganz besonders hohen Einfluss auf mein Urteil und mein Handeln hat eine weitere Frage: Ist das Thema für mich aktuell überhaupt relevant? Eine wunderbare Überleitung zu einer weiteren Frage:
Hat der Halo-Effekt Einfluss auf die Werbewirksamkeit?
Wenn wir uns die diversen Studien der letzten Jahre zum Thema ansehen, auf jeden Fall. Zuletzt machte IAS (Integral Ad Science) in diesem Jahr mit „The Halo Effect – ad environment and receptivity“ auf sich aufmerksam. In ihrer Studie haben sie die Wahrnehmung von Werbung in verschiedenen Umfeldern mithilfe von Messungen der Aktivitäten der einzelnen Hirnregionen unter die Lupe genommen. Ergebnis: Werbung in qualitativ hochwertigen Umfeldern wird per se positiver wahrgenommen, als Werbung in negativen oder auch qualitativ schlechten Umfeldern (Bad Ads). Darüber hinaus hat IAS festgestellt, dass die Relevanz der Werbemittelbotschaft für den Konsumenten wichtiger denn je ist.
Das sind aus unserer Sicht zwar keine neuen Erkenntnisse, aber es freut uns natürlich, wenn sie sich langsam durchsetzen. Denn je relevanter die Werbemittelbotschaft für mich ist, desto eher bin ich geneigt, auf das Werbemittel zu klicken und – wenn alles im Sinne des Werbetreibenden läuft – sogar etwas zu kaufen.
Ob und wie sich der Halo-Effekt als solches tatsächlich im Online-Marketing nutzen lässt, werde ich in einem Folgebeitrag hinterfragen und das Thema Werbewirksamkeit etwas genauer unter die Lupe nehmen. Bis dahin!
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