Bin ich für Browser-AnbieterWebsite-Betreiber und Werbetreibende ein gläserner Mensch und eine Privatsphäre gibt es im Web gar nicht? Als ich 1999 meinen ersten Job anfing, steckte das Internet noch in den Kinderschuhen. Aktuell befinden wir uns im Jahr 2020. Datenschutz wird groß geschrieben.

Rund 83 % der Gesamtbevölkerung Deutschlands nutzen das Internet (statista). In Island sind es sogar 99 % der Bevölkerung (internetworldstats). Zur ursprünglichen Nutzung zum Empfangen und Austauschen von News haben sich eine Vielzahl an sozialen Netzwerken gesellt. Die Nutzungszahlen von Nachrichtendiensten wie WhatsApp oder dem Facebook Messenger haben jene von Email und SMS längst überholt. Bei WhatsApp fließen täglich rund 60 Milliarden Nachrichten hin und her… Die Schattenseite von Fortschritt und der Bequemlichkeit: Jede Nachricht, jeder Seitenbesuch, jeder Klick, jede Suche wird irgendwie irgendwo dokumentiert.

Heißt das „Big Brother is watching you“?

Kann mich ein Unternehmen anhand meiner Wege im Netz per se als potentiellen Kunden identifizieren? Ich bin 44, weiblich, verheiratet, habe ein Kind, lese gern, nähe meine Sachen am liebsten selbst, mag gedeckte Farben bis auf wenige Ausnahmen lieber als knallige Töne und könnte ohne Musik nicht sein. Das und einiges mehr wissen meine Familie, Freunde und der eine oder andere Arbeitskollege. Doch wer kann diese Informationen noch beziehen, auch ohne dass er mich als Mensch kennt? Und was könnte man darüber hinaus noch anhand meiner Aktivitäten im Netz zu mir als Person herausfinden? Über meine politischen Ansichten weiß vermutlich Twitter am besten Bescheid. Instagram kennt mich dank all meiner Likes, eigenen Veröffentlichungen und Kommentaren recht gut. Zumindest könnte man diese Daten gut interpretieren. Wie viel das Zuckerberg-Imperium dank zusätzlicher Facebook-Nutzung bis vorletztes Jahr und täglich vielen versendeten und empfangenen What’sApp-Nachrichten tatsächlich über mich weiß? Für die bin ich vermutlich schon ein gläserner Mensch. Habt ihr euch die AGBs all dieser Apps bzw. Nachrichtendienste jemals komplett durchgelesen, bevor ihr „akzeptieren“ gedrückt habt? Wer denkt überhaupt noch darüber nach, wie viele sensible Daten er mit seinen Freunden auf What’sApp teilt und wer möglicherweise Zugriff darauf bekommt? Und nicht zu vergessen die Unmengen wertvoller Informationen, die unser online Einkaufsverhalten den Unternehmen liefert. Zeige mir deine Bestellungen der letzten Jahre und ich sage dir, wer du bist. Dank gespeicherter Rechnungs- und E-Mail-Adresse, Anrede, Geburtstag und weiteren personenbezogenen Daten lässt sich der fleißig online bestellende Nutzer schon als recht gläserner Mensch „konstruieren“. Hierbei hilft auch die stetige Entwicklung von künstlicher Intelligenz, die genau solche großen Datenmengen im Nullkommanichts verarbeiten und sinnvoll auswerten kann.

Das Recht auf Auskunft: Lasst euch eure Daten schicken!

Ein Bekannter erzählte kürzlich, dass er seine von Amazon gesammelten Daten angefordert hat. Laut Artikel 15, Absatz 1 DSGVO habt ihr als Bürger der EU und betroffene Person (Sammeln personenbezogener Daten) nämlich das Recht auf Auskunft. In dem Haushalt meines Bekannten wird regelmäßig bei Amazon bestellt. Seit etwa einem Jahr wird zudem Alexa in Form eine Echo Box umfangreich von der gesamten Familie genutzt. Es hat ein knappes halbes Jahr und einiges an Kommunikation gebraucht, bis die fast 3 GB Daten bei ihm gelandet sind. Big Data quasi. Ich weiß nicht, wie lange er schon beim umsatzstärksten Onlinehändler (Quelle: statista) bestellt. Meine erste Bestellung liegt auf jeden Fall inzwischen 19 Jahre und zwei Monate zurück. Ich bin doch etwas erschrocken, als ich das vorhin nachgeschaut habe. Und ich habe sicherlich häufig kreuz und quer durch alle Kategorien bestellt. Möchte ich wirklich wissen, welche Schlüsse all diese Daten auf mich als Verbraucher ermöglicht haben? Solltet ihr mutiger oder stärker masochistisch veranlagt sein als ich, fordert doch mal die zu euch gespeicherten Daten an. Bei Amazon, Facebook, WhatsApp oder auch bei Google. Spannend ist das gewiss. Datenschützer fordern hier eine striktere Gesetzgebung, um den Bürger, seine Privatsphäre und empfindliche personenbezogene Daten zu schützen. Ansätze gibt es viele, aber so richtig ausgefeilt, transparent und unmissverständlich formuliert und kommuniziert ist leider nicht einmal die DSGVO. Denn die will eigentlich jenen schmerzhaft auf die Finger klopfen, denen ihre Gewinnmaximierung über das Recht des Einzelnen auf informationelle Selbstbestimmung geht, ein Datenschutz-Grundrecht.

Will ich gläserner Mensch sein?

Ich als Nutzer bestimme, ob, in welchem Umfang und wofür meine (personenbezogenen) Daten erhoben werden dürfen. Cookie-Freigaben und -Einstellungen sind leider oft viel zu kompliziert aufgebaut. Da klicke ich lieber „okay“. Wird schon nicht so wild sein. Kennt ihr? Und dann wundere ich mich, wenn das Nachrichtenportal genau weiß, dass ich mich derzeit mit dem Gedanken trage, eine Siebträgermaschine (Kaffee Junkie, ich…) ins Haus zu holen. Manchmal richtig spooky. Hatte ich überhaupt danach gegoogelt? Haben wir nicht nur dazu gesprochen? Artikel 12 der Verordnung verlangt übrigens „Transparente Information, Kommunikation und Modalitäten für die Ausübung der Rechte der betroffenen Person“. Den genauen Inhalt des Artikels könnt ihr HIER nachlesen. Wenn ihr also wiedermal über kryptische oder hoch komplexe Freigabe-Prozesse für Tracking stolpert: mahnt ab oder zeigt an. Wir sind als Internetnutzer inzwischen sehr verwöhnt. Wir regen uns auf, wenn man uns irrelevante Informationen oder Produkte anzeigt und werden immer fauler, was kleine „Handgriffe“ angeht. Technologie-Begeisterung allein kann zumindest ich nicht für die Nutzung digitaler Assistenten wie Alexa und Co akzeptieren. Wer sich freiwillig eine solche Box ins Haus holt, sollte es sich verkneifen, von „Überwachung“ und „gläsernem Bürger“ zu lamentieren.

Meine Daten – meine Verantwortung

Also lasst uns der Realität ins Auge schauen: einen Tod müssen wir sterben. Müssen wir alles zu jeder Tages- und Nachtzeit bestellen können und es schon am Folgetag in den Händen halten? Nicht wirklich, oder? Es wäre doch schön, wenn mir mein Händler vor Ort etwas empfehlen könnte, was mich zum Strahlen bringt. Weil er ein echtes Interesse an mir als Kundin hat. Und ich mit ihm spreche. Also über das „Ein Roggenbrot, bitte.“ hinaus. Eine Win-win-Story für unsere Gesellschaft wäre das. Einfach den Computer oder das Smartphone einmal weniger anmachen und einen kleinen Schritt hinaus aus der digitalen Welt, hinein ins echte Leben machen. Fände ich gut. Neben dem Recht auf Auskunft habt ihr übrigens auch ein Recht auf Vergessenwerden. Lasst die über euch gesammelten Daten löschen! Wenn ihr dazu mehr wissen wollt, schaut bei der Verbraucherzentrale vorbei. Sie hat eure Rechte in Sachen Datenverarbeitung HIER super zusammengefasst. Ihr müsst kein gläserner Mensch für Werbetreibende und Unternehmen sein – ihr habt die Macht.

Viel Erfolg beim Umsetzen!

 

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